In diesem Monat hat die Reclam Universal-Bibliothek ihren 150. Geburtstag gefeiert.
Wen haben die gelben Hefte nicht durch den Schul- und Studienalltag gebracht? Klein und handlich, aber dennoch gut lesbar.
Das grenzt beinah an ein Wunder und spricht für den Sachverstand mit dem die Universal-Bibliothek gestaltet wurde. Im Gegensatz zu manchen Taschenbuchreihen ist auf einen komfortablen Satzspiegel ebenso Wert gelegt worden, wie auf gut lesbare Schrift in erstaunlich angenehmer Größe. Einzig der Zeilenabstand war lange Zeit sehr gering, aber irgendwo musste man wahrscheinlich Zugeständnisse machen, wollte man die Wälzer der Weltliteratur in Pocket-Größe bringen.
Wenn ich jetzt meine kleine Sammlung betrachte, die diverse Aufräumaktionen überstanden hat, bin ich ganz überrascht, dass die ältesten Exemplare aus dem Zeitraum 1917 bis 1936 stammen.
Außer dem Format haben diese Ausgaben noch recht wenig mit den gelben Bänden gemeinsam: die Farbe des Einbands ist beige-rosa-braun, das Cover schmückt ein verzierter Rahmen, der mich an Säulen und Tempel erinnert, und die Inhaltsschrift ist eine Fraktur.
50 Jahre hatte sich die Gestaltung der Einbände nicht verändert. 1917 legte man die Neugestaltung in die Hände von Fritz Helmuth Ehmcke – einem kreativen Tausendsassa, der Bücher und Ausstellungen gestaltete, Schriften entwarf, als Architekt arbeitete, Berufsverbänden vorstand und als Professor lehrte. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels befand seinerzeit, dass die Neugestaltung »den Bänden einen bei aller Schlichtheit vornehmen Charakter verleiht und ihr Aussehen gegenüber all den bisherigen Ausgaben vorteilhaft verändert«.
1936 erfolgte eine nächste Umgestaltung. Auf ornamentale Rahmen wurde nun verzichtet, stattdessen schmückte eine Vignette den Titel. Diesmal hatte man einen Könner aus den eigenen Reihen beauftragt: Friedrich Häder, Setzermeister und 1. Hersteller, hat sein gesamtes Berufsleben im Reclam Verlag verbracht. Die Titel schrieb der Kalligraf von Hand. Die Vignetten stammen von Fritz Fischer.
Im Laufe der nächsten Jahre wurde die Innentypografie auf Anordnung Hitlers verändert: statt der Fraktur erschienen die Texte nun in einer Antiqua. Die Nazis mochten die Fraktur nicht, umso erstaunlicher, dass diese Schriftart heute so häufig mit dem Nationalsozialismus assoziiert wird.
Am 3./4. Dezember 1943 werden in Leipzig das Hauptlager der Universalbibliothek durch Brandbomben zerstört und die Firmengebäude zu einem Drittel vernichtet. Man begann daraufhin mit dem Auslagern des Archivs und der Hardcoverbestände nach Bayern.
Zwar erhielt der Reclam Verlag 1945 /46 die Lizenz für Druckerei und Verlag in Leipzig, bemühte sich aber auch um Lizenzen im südwestlichen Teil Deutschlands. Im April 1947 wurde in Stuttgart die Reclam Verlag GmbH gegründet und zwischen dem Stammhaus in Leipzig und dem Stuttgarter Verlag ein Lizenzvertrag zu Herstellung und Vertrieb der Universalbibliothek in den westlichen Besatzungszonen geschlossen.
Den Neuanfang in Stuttgart begleitete die Neugestaltung der Reclam Universal-Bibliothek. Alfred Finsterer schrieb und zeichnete für jeden Band Autor, Titel, Verlagsnamen und Vignette. Die Einbandfarbe blieb unverändert, die Schrift erschien in Schwarz und Orangerot. Im August 1948 erschien in Stuttgart die erste Nachkriegsserie mit 17 Titeln.
1950 schließlich trennten sich die Verlagshäuser in der Bundesrepublik und der DDR. Der Leipziger Verlag wurde unter Treuhandverwaltung gestellt, die Eigentümerfamilie, die in der Bundesrepublik lebte, baute ihr Engagement in Stuttgart aus.
Die Zyklen von einer zur nächsten Neugestaltung sind nun kürzer, bereits 1957 gab es eine Überarbeitung des Erscheinungsbildes. Ein Zeichnen einzelner Bände war angesichts der Titelzahl nicht mehr angemessen und so entwarf Alfred Finsterer die Titulatur, eine Versal-Antiqua, angelehnt an seine bisher gezeichnete Schrift, für die Umschläge.
Ein großer gestalterischer Sprung war es von dort in das Jahr 1969: Die Cover-Schrift war nicht mehr traditionell mittelaxial angeordnet, sondern modern rechtsbündig, alles in einer Schriftgröße und aus der Stempel Garamond gesetzt. Feine Linien gliederten den Aufbau des Umschlags. Auch im Innenteil wird nur noch die Garamond verwendet, ansonsten gab es in der Innengestaltung keine großen Veränderungen.
Die Farbe des Einbandes sollte sich 1970 ändern – die Reclam Universal-Bibliothek bekam ihr uns allen vertrautes Erscheinungsbild: sie wurde leuchtend gelb.
18 Jahre später wurde die Reihe von Hans Peter Willberg, dem wohl gescheitesten Buchgestalter, und seiner Frau Brigitte modernisiert. Statt zarter Linien schmückt nun ein schwarzer angeschnittener Balken das Cover, der Verlagsname rutscht nach oben. Im Innenteil wurde wenig verändert, vielmehr klug und dezent gegliedert und aufgeräumt – ganz Willberg-like.
2012 kam es zu einer erneuten Umgestaltung. Die Universal-Bibliothek sollte ein bibliophileres Erscheinungsbild erhalten. Friedrich Forsmann veränderte nicht nur die Gestaltung des Covers radikaler, sondern auch im Innenteil tat sich einiges. Die Innentypografie wurde ganz neu angelegt und man entschied sich für eine neue Schrift: die Documenta von Frank E. Blokland. Die Textmenge pro Seite ist reduziert, Überschriften sind linksbündig und lebende Kolumnentitel stehen nun am Fuß der Seite. Diese Veränderungen erzeugen eine klassisch, moderne Anmutung und es verbesserte sich die Lesbarkeit.
Das Cover ziert nun ein weißes Schild, in dem sich Autorname und Titel befinden, beide in derselben Schriftgröße. Am unteren Rand des Schildchens steht der vertraute schwarze Balken und darunter befindet sich der Verlagsname.
Anlässlich des 150. Geburtstages sind Jubiläumsausgaben erschienen – ausgestattet mit festem Einband, grauem Vorsatzpapier und gelb gemusterten Umschlägen. Gestaltet wurden die Ausgaben von ZeroMedia, einer sehr angesagten Münchner Agentur.
Umgestaltungen der Reclam Universal-Bibliothek wurden immer mit Blick auf Dauerhaftigkeit vorgenommen und die Reihengestaltung war meist für mehrere Jahrzehnte gültig. Mit Fug und Recht lässt sich von einer zeitlos, klassischen Gestaltung sprechen. Nie wollte man modisch erscheinen.
Zu allen Zeiten war das Erscheinungsbild der Universal-Bibliothek sehr bekannt – so haben z.B. im Dritten Reich sowohl Widerstandskämpfer als auch alliierte Propagandabehörden die Reclam-Einbände als Tarnung ihrer Schriften verwendeten.